Ausflug in die DDR

Erzählt von Heinz Weiß
Der Ostersamstag 1954 hatte noch gar nicht so recht begonnen. Es war ungemütlich kalt und reg­nerisch. Eigentlich ein Tag, an dem man möglichst lange im Bett bleiben sollte. Aber die Weißen­brunner Fußballer waren schon auf den Beinen, denn es war endlich so weit. Die lange geplante Fahrt in die DDR, mit zwei Freundschaftsspielen in Köthen und in Kleinpaschleben, sollte beginnen. Unser Trainer Hans Vierthaler hatte diese besondere Fahrt für uns organisiert. In langen Gesprächen waren wir auf die Besonderheit dieser Veran­staltung vorbereitet worden, die im Rahmen der sogenannten deutsch-deutschen Sportbeziehungen zwischen den beiden Teilen Deutschlands stattfand.

Die Teilnehmer bei einer Pause mit den Bierfässern auf dem Bus-Dach
Als wir uns mitten in der Nacht am Treffpunkt einfanden, stand der Bus schon bereit. Auf dem Bus­dach lagen, gut verschnürt, die Gast­geschenke: zwei Fässer Bub-Bier für die Mannschaften, gegen die wir spielen sollten. Endlich waren alle Teilnehmer im Bus und es konnte losgehen.

Warten an der Zonengrenze
Die Fahrt auf der Autobahn in Richtung Hof verlief anfangs ohne Behinderungen. Aber je weiter wir ins Fichtelgebirge kamen, desto winterlicher wurde es. Und schließlich mussten wir sogar auf schneeglatte Nebenstraßen ausweichen und kamen immer langsamer voran. Schon viele Kilometer vor dem Grenzübergang kam der Verkehr völlig zum Stehen. Je länger die Wartezeit wurde, desto unruhiger und ungeduldiger wurden wir, denn wir sollten ja am Nachmittag in Köthen spielen. Aber wir mussten warten, warten, warten, wie alle anderen auch.

Köthen
h.R.v.l.: Heinz Bohrer, Hermann Leonhardt, Stefan Liebel, Georg Fuchs, Josef Wotipka, Heinz Gössel, Heinz Weiß, Georg Eckstein
v.R.v.l.: Willi Kräußel, Georg Weiß, Richard Leonhardt
Schließlich gab es Bewegung auf der Gegenfahrbahn. Wir konnten beobachten, dass stehende Fahr­zeuge vorsichtig an den Straßenrand manövriert wurden, um in der Mitte eine Gasse freizumachen. Bald erkannten auch wir den Grund dafür. Es war ein Fahrzeug der Volkspolizei, das sich zwischen den gestauten Fahrzeugen durchdrängte. Die Polizei war auf der Suche nach uns. Da die ge­plante Ankunfts­zeit schon überschritten war, hatten die Gastgeber die Grenzübergangsstelle Rudolphstadt verständigt. Unser Bus wurde aus der Schlange der wartenden Fahrzeuge herausmanövriert, und unter Polizeibegleitung ging es nun sogar ohne jede Grenzkontrolle gleich durch bis nach Köthen.

Begrüßung der Mannschaften im Stadion von Köthen
Viel Zeit bis zum Spielbeginn blieb nicht mehr. An das Spiel selbst habe ich kaum eine Erinnerung. Es endete 1:1 unentschieden. Aber das Köthener Stadion, mit Stehtribünen rundherum und einem großen Vereinsheim, war das größte, in dem wir bis dahin gespielt hatten. Das Spielfeld war für uns riesig, denn wir spielten in Weißenbrunn ja noch auf dem engen, kurzen Sportplatz droben am Waldrand, neben dem Wohngrundstück vom Steinbruchfink. Nach dem Spiel gab es noch ein Zusammensein mit den Gastgebern, und am Abend fuhren wir weiter nach Kleinpaschleben, wo wir bei Privatleuten untergebracht waren.

Kleinpaschleben passte eher zu uns. Es war auch ein Dorf, viel­leicht etwas größer als Weißenbrunn, aber die Menschen dort waren unsere Kragenweite. Schon am ersten Abend kam es zu einem langen, feuchtfröhlichen, sehr ausgelassenen Beisammensein.

Das Fußballspiel am nächsten Tag war eigentlich zweitrangig. Wir waren alle übernächtigt und gar nicht so recht zum Spielen geeignet. Und es wurde auch ein sehr seltsames Spiel. Es war außerordentlich windig, wenn nicht sogar stürmisch. Der Wind wehte genau in der Längsrichtung über den Platz. Die Platzwahl hatte ergeben, dass wir gegen den Wind spielen mussten. Schon unmittelbar nach dem Anstoß, nach einem höheren Zuspiel, wurde der Ball vom Wind in Richtung zu unserem Tor getrieben. Der Abwehrversuch mißlang, denn der Sturm verwehte den Ball über die eigene Auslinie. Der Eckball brachte unserem Gegner aber auch keinen Vorteil, denn er wurde weit hinter unser Tor abgetrieben. Es gab Abschlag. Aber auch der kam nicht weit. Der Wind hob den Ball, und er flog wieder ins Toraus, also Eckball! Der Eckstoß führte wieder zu einem Abstoß für uns. Und so ging es eine ganze Weile. Es gab einige Versuche mit flachen Zuspielen, aber immer, wenn der Ball auch nur etwas höher kam, wurde er vom Wind vertrieben und fast jedesmal ins Toraus. Der Abschlag führte dann wieder zu Eckball, der Eckball zu Toraus. An ein richtiges Spiel war nicht zu denken und so einigten wir uns schließlich auf Spielabbruch. Das kam uns allen nicht ungelegen, denn die Auswirkungen der kurzen Nacht machten sich auch bemerkbar.

Nach dem "Spiel" traf man sich bald wieder im Dorfgasthaus zur Ab­schiedsfeier. Aber so richtig sportlich zufrieden war keiner. Zwei Spiele und bei keinem eine Entscheidung, da mußte doch irgend eine Möglichkeit gefunden werden, einen "Sieger" zu ermitteln. Da kam die glänzende Idee mit der Bierstaffel.

Die beiden Fußballmannschaften mußten sich einander gegenüber auf­stellen. Den Anfang jeder Reihe bildete der Torhüter, den Schluss der Spielführer. Jedem Spieler wurde ein gefülltes Bierglas zwi­schen die Füße gestellt. Auf Kommando mußte der Erste in der Reihe, also der Torwart, sein Glas aufheben, trinken, so schnell er konnte, das leere Glas abstellen, dann erst durfte der Nächste mit sei­nem Glas beginnen. Unser Torwart war durstig und brachte uns gleich einen Vorsprung. Aber dann wurden die Gastgeber immer schneller mit dem Trinken und holten auf. Schließlich war fast "Gleichtrunk" und nun kam alles auf unseren Spielführer an.

So, wie bei dieser Gelegenheit hatte ich ihn beim Biertrinken noch nie gesehen. Er hob sein Glas fast gleichzeitig mit seinem Gegen­über an den Mund und, scheinbar ohne überhaupt zu schlucken, verschwand der Inhalt in seiner Kehle. Er hatte das leere Glas schon längst auf der Erde abgestellt, da war sein Mitstreiter immer noch am Schlucken und gab schließlich sogar auf.

So waren wir doch noch zu einem kleinen "sportlichen" Erfolg gekommen.
FUSSBALLSPORTVEREIN WEISSENBRUNN 1949 e.V.